Vortrag Prof. Wörmann 2004
Thema des Vortrags: Nebenwirkungen der Therapien mit Interferon, Chemotherapie und Monoklonalen Antikörpern.
Für die HZL-Patienten, die schon länger erkrankt sind, gibt es nicht so viel Neues, aber für Neuerkrankte ist alles interessant und ganz neu.
Da auch die HZL selbst krank machen kann, muss man die Frage stellen: Sind es die Nebenwirkungen der Therapie oder die HZL oder auch im Alter auftretende andere Krankheiten. Dieses alles gilt es abzugrenzen.
Stand des Wissens bei HZL: Ca. 2% aller Leukämieerkrankten haben HZL. Die Patienten sind jünger als andere Leukämiekranke, das mittlere Alter liegt bei ca. 52 Jahren, d.h. es erkranken 30-70-jährige, Männer erkranken häufiger, man weiß nicht warum.
Wahrscheinlich gibt es keine Vererbung, die Erkrankung wurde erworben.
Ursachen könnten evtl. sein: Organische Lösungsmittel, also Benzole, Insektenvertilgungsmittel, Unkrautvernichtungsmittel oder Radioaktive Strahlen? Alles ist nicht sicher, weil es zu wenig Patienten gibt. Da die meisten im berufsfähigen Alter erkranken, sollten sie den Mut haben, sich an ihre Berufsgenossenschaft zu wenden, um die Erkrankung zu melden. So können Daten über Berufskrankheiten und damit eventuell Ursachen registriert werden. Die Erkenntnisse wären nicht für uns, sondern für die nächste Generation.
Grundlagen: Die Krankheit ist ziemlich neu, erst 1958 hat man die HZL als eigenständige Erkrankung entdeckt und sie bekam ihren Namen. Es ist charakteristisch, dass die Krankheit über Jahre fortschreitet. Wenn die HZL diagnostiziert wird müssen die Ursachen mindestens 5-7 Jahre vorher gesucht werden.
Krankheitszeichen der HZL: Die HZ breiten sich im Knochenmark aus und verdrängen gesunde Zellen, die HZ tun nicht weh. Die Krankheitszeichen sind erst da, wenn das Knochenmark von HZ so ausgefüllt ist, dass die normalen Zellen nicht mehr funktionieren. Es gibt häufig Infektionen, die Immunabwehr stimmt nicht mehr, der Patient hat evtl. eine allgemeine Schwäche, verursacht durch eine Blutarmut. Er ist schon müde bei geringer Belastung. Es gibt auch andere Zeichen, die nicht jeder hat, denn die Krankheit ist nicht einheitlich und die Therapie demnach auch nicht. Meist ist die Milz vergrößert, dadurch hat der Patient evtl. Schmerzen auf der linken Bauchseite. 10% der Patienten haben auch vergrößerte Lymphknoten. Weiterhin gibt es Autoimmunerkrankungen, z.B. Rheuma, die Knochen können angegriffen sein (Osteoporose), Hautveränderungen, Störung der Blutgerinnung. Bitte seien Sie trotzdem nicht überängstlich! Diese Krankheitszeichen können, müssen aber nicht auftreten.
Das normale Knochenmark zeigt ein buntes Bild von Zellen. Am Ursprung einer Haarzell - Leukämie wird eine einzige Zelle bösartig. Wenn sich diese Zelle vermehrt, verdrängt sie die gesunden Zellen. Auch wenn über die Hälfte der Knochenmarkzellen verdrängt sind, fühlt sich der Patient oft noch nicht krank. Erst wenn 80-90% der Zellen im Knochenmark infiltriert sind, kann der Körper dies nicht mehr kompensieren, es gibt eine Blutveränderung.
Bei HZL findet eine Verdichtung im Knochenmark statt, die Knochenmarksfibrose. Das ist eine interne Vernarbung des Knochenmarks, man weiß nicht, wie sie entsteht, aber speziell bei HZL wird das Bindegewebe angeregt, Vernarbungen zu machen. Der Arzt wird feststellen wie viele HZ im Knochenmark sind, wie viele gesunde Zellen und wie ausgeprägt die Knochenmarksfibrose ist.
Der Beweis der HZL erfolgt unter dem Mikroskop. Die Oberflächen von HZ haben verschiedene Strukturen, die Struktur CD103 muss vorhanden sein, dann ist es eine HZL. Etwa 10% der Patienten haben eine HZL-Variante, die sich etwas anders verhält als die normale HZL. Die Unterscheidung: dem HZL-V-Patienten fehlt die Struktur CD 25. In der Regel sprechen diese Patienten auf Interferon nicht an.
Zusammenfassung: Bei Verdacht auf HZL, also bei niedrigen Blutwerten und einer großen Milz, muss das Knochenmark punktiert werden, man macht also eine Biopsie, schaut, ob eine Fibrose da ist, macht die Immunphänotypisierung, und stellt fest, ob die Strukturen vorhanden sind. Wenn die Struktur CD103 da ist, handelt es sich um HZL, wenn CD 25 fehlt ist es eine HZL-Variante.
Behandlungsmöglichkeiten eines Krebspatienten: Die 3 wichtigen sind Operation, Bestrahlung, und Chemotherapie. Heute kommen noch dazu: die Immuntherapie, die Hormontherapie und noch andere. Sie sehen, es gibt viele Möglichkeiten, das macht die Behandlungen für die Patienten oft unübersichtlich.
Die Therapiemöglichkeiten für den HZL-Patienten sind: Operation, Chemotherapie, Immuntherapie und die Gabe von Bisphosphonaten, das sind knochenstabilisierende Medikamente. Sie werden nur eingesetzt bei einer kleinen Gruppe von Patienten, die Osteoporose oder Knochenauflösung aufgrund der HZL haben.
Operation, das ist bei der HZL die Milzoperation, die in 70er Jahren Standard war. Heute kann immer noch den Patienten mit HZ-V. die Milzoperation empfohlen. Ein Patient ohne Milz hat eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, speziell für eine bestimmte Art der Lungenentzündung. Dagegen können entweder Antibiotika gegeben oder gegen diese Art der Lungenentzündung (Pneumokokken) geimpft werden.
Bei HZL kann man Wochen vorher impfen, und wenn die Impfung gegriffen hat, wird operiert. Das ist für die HZL-Variante-Patienten eine wertvolle Methode.
Immuntherapie. Rund um die HZ gibt es Zellen des normalen Immunsystems, B- und T-Lymphozyten, Fresszellen und Killerzellen. Alle sollten eine fremde Zelle entfernen können. Normalerweise muss das Immunsystem etwas, was uns schädigt, erkennen und beseitigen. Das Immunsystem erkennt in diesem Fall die HZ nicht als fremd, es toleriert sie, so können diese sich vermehren.
Bei der Immuntherapie muss gegen die HZ verschärft vorgegangen werden, um diese zu entdecken. Es gibt 2 Möglichkeiten:
1. Interferon alpha, das Ende der 70er Jahre bei vielen Krebsformen eingesetzt wurde und heute noch beim schwarzen Hautkrebs, Nierenzellkrebs, Plasmozythom, Lymphknotenkrebs und eben bei der Haarzell-Leukämie. Auf einem großem Kongress 1984 wurde bekannt, dass zum 1. mal über 80% von HZL-Patienten auf Interferon alpha angesprochen hatten. Das war zu jener Zeit spektakulär für die Patienten, aber auch für die Ärzte.
Damals hat man allen Patienten IF gegeben, 75-90% sprechen heute auf IF an, bei 20-30% gibt es eine komplette Rückbildung, d.h. im Knochenmark findet man keine HZ mehr. IF wird unter die Haut gespritzt, man gibt 1-3 Mio, 2-3 mal pro Woche. Wenn also nur 20-30% der Patienten eine komplette Rückbildung haben, so hat der Rest eine hohe Rückfallquote von über 50%. Man muss damit rechnen, dass nach einer gewissen Zeit die Krankheit wieder kommt. Bei einer Studie hatten 30% nach 5-6 Jahren keine Rückfälle. Interferon ist nicht schlecht, man sollte sich nur keine falschen Hoffnungen machen.
Nebenwirkungen bei IF: Das sind Fieber, evtl. Schüttelfrost, das Gefühl wie bei einer schweren Grippe nach einigen Stunden. Das ist ein Zeichen, dass das Immunsystem aktiviert wird. Bei höherer Empfindlichkeit oder hoher Dosis gibt man ca. 2 Stunden nach der Spritze Paracetamol oder Benorol.. So kann man die Nebenwirkungen fast komplett verhindern. Gegen Kopfschmerzen nimmt man Aspirin, wenn die Thrombozyten (Blutplättchen) nicht erniedrigt sind. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die sich nach IF allgemein schwach fühlen, die Gewicht verlieren. Hier muss man die Dosis reduzieren oder auf die Chemotherapie umsteigen. Muskel- und Gelenkschmerzen kommen vor, Patienten mit IF können auch einen Abfall der roten und weißen Blutzellen haben, dann muss das Knochenmark zur Kontrolle punktiert werden.
Eine kleine Gruppe hat starke Depressionen, bei langer Behandlung mit Interferon besteht für 9% der Patienten das Risiko, an Depressionen zu leiden. IF kann die Depression verstärken. Hier muss man absetzen. Drei weitere Nebenwirkungen sind Nervenschmerzen, die Vergesslichkeit kann verstärkt werden je älter die Patienten sind. Es können auch Autoimmunerkrankungen, wie Schilddrüsenerkrankungen, Herzrhythmus-Störungen, sog. Vorhofflimmern vorkommen.
All dies kann aber auch ohne IF auftreten. Der Patient kann in einen Kreislauf kommen: HZL, IF, fragliche Nebenwirkungen, neues Medikament, usw. Hier muss man evtl. das Interferon absetzen um zu sehen, ob eine zweite Krankheit vorliegt.
2. Chemotherapie: Es gibt über 100 Chemotherapie-Medikamente, aber noch keines, das jeden Krebs beseitigt, fast jeden Monat kommt ein neues Krebsmedikament dazu. Es gibt viele Entwicklungen, jeweils für einen kleinen Teil von Krebspatienten.
Eine Gruppe von Medikamenten ist extrem wirksam bei HZL, obwohl sie nicht dafür erfunden wurden, das sind drei Medikamente:
Zuerst war Pentostatin / Nipent auf dem Markt. Das heute am meisten eingesetzte Medikament ist Cladribin / Leustatin, neu auf dem Markt ist Litak von der Fa.Lipomed.
Leustatin (2CdA) ist eigentlich zugelassen für die intravenöse Behandlung (als Tropf), Litak wird ausschließlich subkutan (unter die Haut) gespritzt.
Was neu ist: Wenn heute ein Patient zur Therapie kommt, wird er in der Regel nicht mehr stationär aufgenommen und wird auch nicht mehr über den Tropf behandelt, sondern unter die Haut gespritzt, das wirkt genauso gut wie die Infusion. Die Behandlung muss nur über 5 Tage durchgeführt werden.
Ergebnisse: von allen HZL-Patienten, die mit einem Medikament wie Cladribin behandelt wurden, sprechen 95-98% auf die Behandlung an, d. h. fast jeder. Es bleibt eine kleine Gruppe von Patienten, bei denen Cladribin allein keinen Erfolg zeigt. Bei Cladribin gibt es also 70-80%ige komplette Rückbildung, d.h. im Knochenmark ist (wenigstens eine gewisse Zeit) nichts mehr nachzuweisen . Anfangs gab man Cladribin 7 Tage intravenös, heute geht man über 5 Tage, dabei sind die Nebenwirkungen nicht höher. Es gibt Rückfälle, man diskutiert, ob mit Cladribin die HZL geheilt werden kann. Wir wissen das nicht, der Patient muss mit einem Rückfall nach einigen Jahren rechnen. Daher werten wir die HZL als chronische Krankheit.
Nebenwirkungen: Infektionen! Auch die normalen Zellen des Blutes werden von dem Medikament getroffen. Auf dem Ausdruck Ihrer Blutwerte finden Sie u.a. die Leukozyten (weiße Blutkörperchen), eine Untergruppe davon sind die segmentkernigen und die stabkernigen, also die neutrophilen Granulozyten. Diese sinken und je tiefer sie fallen, -Sie haben dann eine Neutropenie-, desto wahrscheinlicher werden Sie Infektionen bekommen.
Die kritischste Nebenwirkung unter Cladribin ist eine Lungenentzündung, die können Sie sich auf der Straße holen, es könnten z.B. Streptokokken oder Influenza sein. Eine besondere Gefährdung: Jeder von uns hat Pilze im Mund, ein HZL-Patient mit wenigen weißen Blutkörperchen kann eine Pilzinfektion der Lunge haben, eine kritische aber behandelbare Situation. Herpesinfektionen sind kritisch und belastend, z.B. Gürtelrose. Je früher behandelt wird, desto besser. Blasenentzündung mit Keimen können vorkommen. Die beiden folgenden Nebenwirkungen können mit HZL als auch mit der Therapie zusammenhängen.
1. Es kann kurzfristig nach der Behandlung mit Cladribin zu einer Blutarmut kommen, einer
Anämie. Zeichen: Man fühlt sich schwächer, ist nicht belastbar, kommt die Treppe nicht hoch, der HB-Wert sinkt unter 10.
2. Mangel an Blutplättchen/Thrombozyten, die Therapie kann die Blutplättchen sinken lassen, dadurch entsteht ein Blutungsrisiko.
Normal hat man 150.000-400.000 Thrombozyten, wenn der Wert unter 100.000 fällt, blutet der Patient noch nicht, erst unter 20.000. Wenn jemand bei HZL Cladribin bekommt, kann der Wert unter diese Grenze fallen. Die Blutungsneigung zeigt sich beim Zähne putzen, Rasieren, Nasenbluten, es können auch viele Blutergüsse ohne Grund entstehen.
Es gibt Patienten, die nach Cladribin Fieber haben ohne eindeutige Ursache. Man muss hier feststellen, ob eine ungewöhnliche Infektion vorliegt, z.B. die Pilzinfektion der Lunge. Es gibt Hautveränderungen, Schuppungen, eine Infektion der Haut, bei Durchfall nimmt man die Standardmedizin.
Ein schwieriges Gebiet ist allgemeine Schwäche, auch bekannt unter dem Namen "Fatiquesyndrom". Es kann Blutarmut vorliegen, Depressionen, und es kann lange dauern. Eine richtige Lösung hat die Medizin z.Zt. noch nicht. Es gibt "Dopingmittel", Anabolika, damit die Patienten sich besser fühlen. Weiter: Übelkeit, Knochenschmerzen (es gibt eine kleine Gruppe mit HZL, bei der die Knochen angegriffen werden, hier muss man die Knochen gleich anschauen und durch Röntgen oder per Kernspintomographie feststellen, ob die Knochen angegriffen sind, dies muss man abklären. Weitere evtl. Nebenwirkungen sind Wassereinlagerungen, Kopfschmerzen.
Zusammenfassung: Für HZL-Patienten stehen zur Verfügung: Milzoperation, Chemotherapie, Immuntherapie, hier Interferon. Eine Erweiterung der Immuntherapie ist bei Rückfällen die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern (siehe Bericht aus dem Jahr 2003).
Antikörpertherapie: Antikörper hat jeder Mensch im Immunsystem, z.B. nach einer Grippeimpfung, um Grippe zu verhindern. Antikörper helfen, fremde Strukturen zu erkennen. Der Antikörper sagt dem Immunsystem: Das ist eine fremde Zelle. Er setzt sich auf die Zelle, diese wird markiert, d.h. sie ist fremd, man muss sie angreifen. Das funktioniert bei den HZ, weil sie auf der Oberfläche eine Struktur haben, die CD 20, d.h., wenn der Antikörper gegeben wird, setzt er sich auf diese Struktur der HZ.
Ein Beispiel: 24 HZ-Patienten haben Antikörper genommen, davon haben 6 angesprochen. Es waren solche Patienten, die mit IF und Cladribin nicht zurechtkamen. Diese Therapie ist kein Allheilmittel und nicht 1. Wahl für Patienten, die auf andere Therapien ansprechen.
Die Nebenwirkungen sind ähnlich wie bei IF am Anfang: auch Fieber, evtl. Schüttelfrost, Infektionen können auftreten, die Zahl der weißen Blutzellen und der Blutplättchen kann sinken. Mit Antikörpertherapie kann man die HZL jedoch über Jahre beherrschen.
Man kann mit dem Antikörper eine radioaktive Substanz oder einen Giftstoff (Toxin) koppeln, diese vernichten die kranke Zelle. Bei der Behandlung mit einem Immunotoxin hatten 11 von 16 Patienten eine komplette Rückbildung. So aktiviert man das Immunsystem, und der Giftstoff vergiftet die Zelle, falls das Immunsystem nicht stark genug war. Die Behandlung ist in den USA noch nicht zugelassen, es gab bisher zu wenige Patienten, deshalb steht diese Behandlung leider noch nicht zur Verfügung.
Betrachten wir also die Therapien für HZL über die vergangenen 40 Jahre:
In den 60er und 70er Jahren gab es die Milzoperation, in den 70-er und 80-er Jahren das Interferon alpha, ab ca. 1990 die Chemotherapien Pentostatin und Cladribin und zuletzt die monoklonalen Antikörper.
Wir sehen, die Perspektiven für HZ-Patienten sind so positiv wie für keine andere Krebskrankheit.
Der negative Punkt: HZL-Patienten werden manchmal nicht mehr ernst genommen, bei den Ärzten und den Krankenkassen. Wir müssen kämpfen, damit die Krankenkassen verstehen, dass HZL eine chronische Krankheit ist.
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